Lichter

So viele Lichter. Überall. Die Augen schmerzen. So viele Lichter und ich erinnere mich. Ab und zu. Bruchteile von Sekunden nur, aber immerhin. Dann werden sie warm, die Lichter, und ich friere nicht mehr. Der Schnaps stinkt. Billiger Fusel eben. Aber auch er wärmt. Ein Schluck noch und ich muss bestimmt kotzen. Ist eh leer und ich kicke die Flasche mit dem rechten Fuß weg. Sie rollt über die Kieselsteine. Hohles Klirren. Passt irgendwie zu meinem Magen. Ich lache in die Nacht, klingt auch hohl. Unpassend. Wie die Lichter. Verdammte Scheiße, woher kommen die alle nur. Es ist Weihnachten! Jaja ich weiß. Die Stimme soll schweigen. Weihnachten, na und?

Die Lichter tanzen vor meinen Augen. Eine Hand streichelt über meinen Kopf. Mutter lacht.

Was soll das alles? Evi, der Ring, Kathi mit ihren blonden Zöpfen. Geht weg! Ich will euch nicht. Muss mich bewegen. Wo zur Hölle ist die Flasche? Die Lichter haben sie verschlungen, ich weiß es genau. Ich hasse sie. Vielleicht gehen sie weg, wenn ich sie anschreie. Schreien ist immer gut. Doch ich bin zu müde. Muss laufen, die Füße sind kalt. Das ist wichtig. Kalte Füße sind gefährlich. Wohin ist egal, nur weg von den Lichtern.

Die Tüten sind schwer, die Lichter sind überall. Und die Erinnerungen. Sie laufen neben mir, kriechen in meine Schuhe und verbreiten wohlige Wärme. Sie riechen nach Zimt und schmecken nach Kakao.

Jemand rempelt mich an. "Ey Alter, hast du keine Augen im Kopf?" Die Stimme klirrt. Wo ist nur die Flasche. Ich brauch einen Schluck, es ist wieder so kalt. Evi hat sie bestimmt versteckt. Wie immer. Oder ausgegossen. Du musst aufhören damit, denk doch an Kathi! Ich denke immer an Kathi. Was weiß Evi denn schon. Wo ist die Flasche, du Luder.

Kathi zündet eine Kerze an. Es sieht so süß aus, wie sie sich anstrengt das Streichholz gerade zu halten. Das Gesicht verschwimmt in den verdammten Lichtern. Will es halten und greife ins Leere. Eine Tüte reißt auf. Scheiß Kathi, Scheiß Tüte, Scheiß Lichter. Alles ist Scheiße, auch Evi. Ich bücke mich und sammele die Sachen ein. Brauch ich n0ch. Ist nicht viel. Ein Schuh nur, wo ist der zweite? Ah, da unter der Bank. Guter Platz, bin müde.

Die Jacke kann ich nicht ausziehen. Zu kalt. Lege die zerrissene Tüte unter meinen Kopf. Die Zahnbürste drückt. Schlafen ist jetzt gut. Keine Lichter mehr, wenn ich die Augen schließe. Vom Himmel hoch da komm ich her …  Cd, wahrscheinlich, nicht mal ein Chor. Bescheuert so ein Weihnachtsmarkt.

Viel zu laut. Alle Jahre wieder … Scheiß drauf. Hört endlich auf, will schlafen. Glühwein das wäre es jetzt. Schön heiß, besser als Schnaps. Ich setze mich auf und fingere das Geld von heute aus der rechten Hosentasche. Bahnhof ging heut nicht. Zuviel Bullen. Lidl ist immer ganz ok, aber es ist weniger als am Bahnhof. Fünf siebenundfünfzig, magere Ausbeute. Reicht für ein Glas Glühwein. Und ein Brötchen morgen. Dann eben ohne Belag. Geht auch.

Vergesse die Tüten und geh nochmal zurück. Sind noch da, gut. Brauche sie noch. Die Lichter sind auch noch da. Manche sind bunt. Ich muss lachen. Sieht aus wie Konfetti. Brauche sie nicht. Glühwein brauche ich, das ist alles. Die Lichter da vorne am Stand sind rot. Evi hat ihr rotes Kleid an. Die Lippen sind rot, die Schuhe sind rot. Rot ist scheiße, aber rot ist Glühwein. Muss ich durch.

"Ein Becher, bitte." Neben mir bellt ein Hund und lenkt mich kurz ab. Schönes Tier, rotes Halsband. "Macht sieben fünfzig", schnarrt eine Stimme. Ich drehe mich wieder um. Der Becher dampft vor mir. "Nu, junger Mann, was is, sieben fünfzig!"

Meine Augen brennen, mein Magen krampft. "Zwei Euro fünfzig Pfand." Die abgezählten fünf Euro auf der Theke blinken im Licht. Rot. Grün. Rot. Rot. Rot.

"Hamse keinen Pappbecher?" Eine Hand schiebt zwei Geldstücke neben meine Münzen. Ich starre auf die Hand, drehe mich um. Die Augen folgen dem Arm und bleiben mitten in einem Gesicht hängen. Lichter in den Augen. Evi hatte auch diese Lichter in den Augen. Graublau. Mit Lichtern. "Nu nehmen se schon, ist doch Weihnachten." Der Mund lächelt. Rot.

Ich kriege keinen Ton raus. Der Becher glüht in meiner Hand. Verbrenne mir den Mund. Schmeckt scheußlich. Viel zu süß. Alles blinkt, alles glitzert. Kathis Haarspange glitzert auch. Silbern. Ich überlege wann das war. Gestern vielleicht, oder vor einer Woche. Kleine Schlucke. Nicht alles auf einmal. Scheiße, auf der Bank sitzt jemand. Kurt. Blöder Typ. Raucht immer Pfeife. Vanillearoma."Tach Kurt, meine Bank. Verschwinde!"

"Mensch Karl, was regste dich denn auf. Is doch Weihnachten. Nächstenliebe und so!"

"Scheiß auf Weihnachten, hau ab!"

"Was haste denn? Is doch schön. Weihnachten geben se alle mehr. Gute Zeit."

Gute Zeit, gute Zeit. Blödmann. "Hier, haste deinen Kram. Such dir ne andere Bank."

Endlich ist er weg. Die Lichter sind noch da. Wieder warm, wieder Evi, wieder Kathi.

Noch ein Schluck. Lauwarme Brühe! Hühnersuppe, ja die konnte Evi gut. Schmeckte immer, auch am zweiten Tag. Wieso ist der Becher schon leer? Die Lichter sind kalt. Meine Hände auch. Schlafen, schlafen, schlafen. Ohne Lichter, ohne Evi, ohne Kathi, ohne Weihnachten. Der Engel kommt auf die Spitze. Muss sie nur noch ein wenig zurechtschneiden. Dann passt es. Wieso sind die Kugeln dieses Jahr blau?

Blaue Lichter. Blaue Kugeln. Ich will das nicht. Kling Glöckchen klingelingeling …

Hört auf damit. Hört auf. Papa das Christkind war da, schau so viele Geschenke.

Der Engel auf der Spitze raucht Pfeife. Vanillearoma.

Weißes Licht, weißer Stoff. Viel zu grell, kalt.

Nach Hause, ich will nach Hause.


Text: Perdita Klimeck

Illustration: Sarah Engelhardt

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