Allee der Träume

Von Krieg und Frieden

Endlich konnte er das Zelt schließen. So etwas wie Ruhe war ins Lager eingekehrt. Trügerisch, das wusste er. Aber für die nächste Stunde nahm er sich vor, sie zu genießen. Irgendwie. Seufzend hockte er sich auf seine Bettstatt, nicht ohne den Versuch zu machen, den Gestank, den das Stroh ausströmte, zu ignorieren. Wie von selbst tasteten seine Finger nach dem kleinen goldenen Medaillon, welches er um seinen Hals trug. Vorsichtig löste er die Kette. Als er es öffnete und voller Schmerz die kleine, blonde Locke darin betrachtete, versank er im letzten Sommer, denn dieses Bild war unauslöschlich mit dem Medaillon verbunden. Im matten Schein einer Öllampe griff er zu Feder und Papier.

 

Madeline,

 

lechzend wie das Gras im ersten Morgenschimmer

sich nach dem kühlen Taue sehnt,

so ruft das pochend Herz in meiner Brust nach dir.

Nichts vermag das brennende Verlangen

nach einem Blick von dir zu stillen.

 

Ich fühle noch die Kühle deiner Hand,

rieche ihn, den Duft des Sommers,

der deinem gold´nen Haar entströmte.

Und schmecke noch den letzten Kuss

von dir auf meinen Lippen.

 

Mir graut vor jedem weiteren Tag,

vor jeder Morgenröte.

Weiß ich doch nicht, ob dieser Krieg,

der mir wohl mehr als sinnlos scheint,

mir eine nächste Nacht noch schenken wird.

 

Sie ist es doch, die ich so nötig brauche,

um dich in meine Träume einzubinden.

Nur dafür überlebe ich den Tag.

Und werfe ab das Grauen,

um im Glanz des Sternenlicht´s dir nah zu sein.

 

Die Feder kratzt schon und der Geruch

des letzten Tropfen Öl´s  hängt bitter in der Luft.

So enden meine Zeilen hier, doch niemals meine Liebe,

die ich vertrauensvoll dem Schicksal in die Hände lege.

Möge der Herr uns gnädig sein.

 

Winston

 

Der Mond hing bleich zwischen den uralten Bäumen, die die Allee säumten. Ein Käuzchen rief lockend nach dem Gefährten. Wieder und wieder las sie seine Zeilen und mit jedem Male wurde ihr das Herz schwerer. Sie wollte nicht klagen, wollte ihm nicht noch mehr Leid bereiten, und dennoch flossen ihre heimlichen Tränen mit jedem Wort auf das Papier. Obgleich sie sich mühte, zitterte ihre Hand. Inständig hoffte sie,  er würde es nicht herauslesen können. Der letzte Sommer stieg vor ihr auf und sie ließ die Feder für diesen Moment ruhen. Noch einmal kostete sie träumend von seinen Lippen, dann rief sie sich zur Ordnung. Morgen würde ein Reiter ihren Brief mitnehmen, deshalb musste sie fertig sein, wenn die schweren Glocken von St. Antonius den neuen Tag einläuten.

 

Winston,

 

welch Süße tropfte doch aus deinen Worten.

Und dennoch machen deine Zeilen

das Herz in meiner Brust,

das immerdar für dich nur schlägt,

so drückend schwer.

 

Allein betrübt mich der Gedanke

mir bliebe nur dies Stück Papier,

als einz´ges Zeugnis deiner Liebe.

So kann mich nichts wohl mehr erfreuen.

Und grau und dunkel scheint mir jeder Tag.

 

Stark will ich sein, stark für dich,

doch Schwermut ist´s, die Oberhand gewinnt.

So wird jedwedes Lächeln, denk ich an dich,

im Keime schon erstickt.

Von ungezählten Tränen.

 

Welch Last hat man uns auferlegt,

die mein Herz zu tragen kaum vermag.

Ist es der Liebe Sinn, zu darben und zu leiden?

Fast mein ich zu ersticken an all dem Leid,

das dieser Krieg so mit sich bringt.

 

Der sechste Glockenschlag ist grad verklungen,

graue Morgennebel steigen auf.

Mein ganzes Herzblut lege ich in diese Zeilen.

Und bete still zum Herrn, dass der Bitterkelch

des Todes, stets an dir vorüberzieht.

 

Madeline

 

So kalt, die Kammer. Müde und hungrig stand sie am Fenster. Kein Ast, kein Zweig verdeckte mehr den Mond. Die alten Bäume waren längst gefällt, um diesem kalten Winter, mit ihrer Wärme, ein Rest von Leben einzuhauchen. Es war nicht die erste Nacht, die sie schlaflos und von Sorgen geplagt, dort verbrachte. Das Stück Papier in ihrer Hand war längst zerknittert und nass vor Tränen. So oft sie auch versuchte es glatt zu streichen, nach wenigen Minuten merkte sie stets, dass sie es wieder zerdrückt hatte. Immer wieder stand sie auf und richtete ihren Blick in den nachtschwarzen Himmel. So, als suche sie Trost, dort oben bei den Sternen. Doch trieb es sie stets zum Schreibtisch zurück.

 

Winston,


zwei Winter währt nun schon der Krieg,

der dich mein Herz,

so fest in seinen Klauen hält.

Und seit dem Sommer

keine Nachricht mehr von dir.

Dein letzter Brief, er ist durchtränkt

von meinen Tränen.

Es sind nur deine Worte,

die meine Seel` am Leben hält.

 

Die Gärten sind verbrannt.

Nicht eine Rose mehr,

die mir mit ihrem Duft von dir erzählt.

So schwer der Kampf für ein Stück Brot.

Und schwerer noch die Not

den Bissen zu genießen.

So lad ich große Schuld auf mich.

Weiß ich doch nicht,

ob gerade dieses Stück dir fehlt,

damit dein Herz nur weiterschlägt.

 

Mein Lieb, mein Seelenfreund

wenn ich nur wüsst,

ob du ihn sehen kannst,

den vollen Mond, der gerade so,

als ob ihn nichts mehr trüben könnt,

mir in die Kammer scheint.

Was mich noch aufrecht hält

ist einzig der Gedanke

an dich und deinen Treueschwur.

 

Verzeih, wenn diese Zeilen

vielleicht nicht leserlich.

Vermag die Hand nicht ruhig zu halten.

Sie zittert wie die Nacht

vor jedem Tag, den dieser Krieg noch währt.

So bete ich zum Herrn, dass er sich gnädig zeigt,

und dir das Leben lässt,

damit dein Blut mit meinem sich vermischt,

um Leben neu zu schenken.

 

Der Mond zieht sich zurück,

der Morgen naht.

Wünsch mir so sehr den Schlaf herbei.

Um traumlos zu vergessen,

was uns das Leben abverlangt.

Doch mehr noch sehn´  ich mich nach dir.

Vergib mir meine Tränen,

sie halten aufrecht meine Hoffnung,

dass dieser Krieg dich mir nicht nimmt.

 

Madeline

 

Erster Reif bedeckte Felder und Hügel. Die Luft war klar, doch unter dem Mantel der Reinheit, schwärte der Geruch des Todes. Tränen existierten nur noch in seiner Erinnerung. Sie hatten dem Grauen den Rücken zugewandt. So, als ob sie ihm nichts mehr zu sagen hätten. Stumpf und leer war sein Blick. Nur ab und zu tauchte aus den Tiefen seines Herzens, so etwas wie ein Gefühl auf. So wie jetzt. Er atmete tief ein und für den Moment glaubte er, dass ihn dieses Gefühl erschlägt. Die Schreie, die den beginnenden Morgen durchbrachen, ignorierend, setzte er sich auf und netzte die Feder mit Tinte.

 

Madeline,

 

du Blüte meines Herzens,

hab deine Zeilen wohl schon mehr

als tausendmal gelesen.

Du bist so fern, doch herzensnah

und dein Worte sind mir mehr,

als jeder Morgen dieser Zeit,

die mir nicht wirklich scheint

in ihrer Grausamkeit.

 

Der dritte Winter

steht schon vor den Toren

und winkt mit Eis und Schnee,

die gnädig all das Leid,

das uns das Schicksal schenkt,

mit reinem Weiß bedecken werden.

Wie trügerisch wird dieses Bild,

ist doch der Boden blutdurchtränkt.

 

Es schmerzt so sehr dein Leid zu fühlen,

doch mehr noch schmerzt mein Herz,

weil Sehnsucht jeden Tag auf´s Neu

durch kalte Adern fließt.

Ein  wenig wärmt mir dies die klammen Finger

und stillt den Durst nach deiner Honighaut.

Welch süßes Verlangen, allein

beim Schreiben, mich durchfließt.

 

So sei beruhigt, du meine Herzensschöne.

Noch schlägt das Herz in meiner Brust.

Seh ich auch nicht den gleichen  Mond,

trägt jedes Funkeln eines Sternes

mein Herz zu dir.

Und damit auch die Hoffnung,

dass dieser Krieg ein Ende nimmt.

Mehr Elend kann die Welt nicht tragen.

 

Muss mich jetzt von dir lösen,

wenn auch nur mit dieser Feder.

Denn niemals wird die Seele

dein Bildnis in mir löschen.

Die Nebel weichen schon

und Angst beherrscht mein Denken.

Dein Herz, es schlägt in meiner Brust,

auch noch in Ewigkeit.

 

Winston

 

Weiße Stille erstreckte sich vor ihren Augen. Wie zum Hohn, leuchtete der Mond heute besonders hell. In seinem fahlen Licht konnte sie die Umrisse der Baumstümpfe ausmachen, die sich wie Mahnmale aus dem Schnee drückten. Tagsüber hatte sie keine Zeit, ihren Gedanken nachzuhängen. Das Elend um sie herum war stärker als jede Sehnsucht. Nachts indessen, allein in ihrer Kammer, schlugen sie mit einer Härte zu, die sie kaum noch zu ertragen vermochte. Ein tiefer Seufzer rang sich über ihre Lippen. Mit wehem Herzen  wandte sie sich vom Fenster ab, setzte sich an ihren Tisch und strich das Stück Papier behutsam glatt.

 

Winston,

 

du, mein Leben und mein Licht,

der hellste Stern an einem Firmament,

das so unendlich ist,

wie das Gefühl, das ich im Herzen trage.

Nacht um Nacht denk ich an dich

und bitte, bangen Herzens,

den einen Gott um Gnade.

 

Die Zeit steht still und dunkle Schatten

werfen ihre Netze nach mir aus.

Sie halten mich gefangen

und ich fühl mich wehrlos,

wenn sich die Fäden

um mich schlingen und all die Hoffnung,

die ich in mir trage, nieder drücken.

 

Nichts Gutes kann ich dir berichten

aus deiner Heimat, die so fern von dir.

Mutter und Vater sind nicht mehr.

Ein schweres Fieber raffte sie dahin,

in kurzer Zeit.

So trag ich nun allein die Last

und Mühen dieser dunklen Tage.

 

In manchen Nächten hör ich deine Stimme,

wie sie zarte Worte flüstert

und feine Röte ziert mir mein Gesicht.

Sinnlos erscheint mir heute Ehre.

Was gäb` ich drum, ich hätte mich,

in jenen lauen Sommernächten,

dir ganz geschenkt.

 

Du Teurer du, mein Lieb

in allen Stunden ist mein Herz bei dir.

Alleine der Gedanke, dich dort zu wissen

wo Leid nur Leid erzeugt,

lässt meine Seele tief erschauern.

Nur noch im Glauben und in deinen Worten

finde ich die Kraft zum Überleben.

 

Im Gottvertrauen, dass diese Zeilen dich erreichen

beende ich nun diesen Brief,

den ich mit übervollem Herzen schrieb.

Geliebter Du, ich sage nicht Lebwohl.

Solange ich noch Hoffen kann,

weiß ich bei meiner Seel´,

dass wir uns Wiedersehen.

 

Madeline

 

Der Winter zog sich in sein Bett zurück und mit ihm ging der Krieg. Die Frühlingssonne wärmte bereits die Haut und unter der Asche konnte man erstes Grün erahnen. Sie bückte sich und vorsichtig legten ihre Finger einen der Rosenstöcke frei. Mit wehem Herzen betrachtete sie den verbrannten Stock und tränkte ihn mit ihren Tränen. Nach einer Weile straffte sie ihre Schultern, nahm den Brief, den ihr ein Reiter vor ein paar Tagen überbracht hatte, und vergrub ihn zwischen den Wurzeln des Rosenstockes. Sie brauchte ihn nicht mehr, denn seine Worte würden immer in ihrem Herzen stehen.

 

Madeline,

 

du Stern in meinen Nächten.

Mir bricht das Herz bei dem Gedanken,

dass du weinst, wenn dieser Brief

in deinen Händen liegt.

Ein treuer Kamerad  bringt meine Worte zu Papier.

Gern würd ich selbst die Feder halten,

um dir Lebwohl zu sagen.

 

Das Bild aus jenen fernen Tagen

wird mich begleiten zu einem Ort,

der mir den Frieden gibt, den diese Welt

mir grausam nahm.

Suche mich nicht,  du wirst mich finden,

wenn der Herr bestimmt,

dass diese Zeit gekommen ist.

 

Verzeih mir, dass ich dich verlassen muss.

Doch sei gewiss, der eine Teil von mir,

den ich an dich verschenkte,

wird immer bei dir sein.

Was uns jetzt trennt mag Schicksal heißen.

Es bleibt uns nur den Weg, den Gott bestimmt,

in stiller Demut anzunehmen.

 

So gräm dich nicht, mein Rosenkind.

Gestern erst sah ich einen Schmetterling

und ich wusste, der Frühling

breitet seine Arme aus.

Er wird mich halten

und zu einem Sommer tragen,

den niemand je mir nehmen kann.

 

Dein Medaillon wird mich begleiten

auf dieser einen Reise.

Es war mir Trost in langen, kalten Nächten,

wenn die Verzweiflung meine Sinne trübte.

Mich friert, mein Herz,

doch deine Liebe gibt mir Kraft

den letzten Weg zu gehen.

 

Du Liebe meines Lebens, vergiss mich nicht.

In jeder Rose, die deinen Weg bekränzt,

in jeder lauen Sommernacht,

wird die Erinnerung

an unsere Liebe weiterleben.

Und jeder Sommerwind

wird unsere Namen flüstern.

 

Winston

 

Längst schmückten junge Bäume die Allee. Das frische Grün der ersten Blätter rauschte leise im Sommerwind. Nur vereinzelt erinnerten noch ein paar dunkle Baumstümpfe an das Geschehen. Die Nacht war kühl, doch sie bemerkte es nicht. Einsam lehnte sie am Fenster und sog den betäubenden Duft der Blumen ein, die sie gepflanzt hatte. Sie lenkte den Blick zu den Sternen und wie zum Gruße nickte sie mit dem Kopf. Sie wusste, dass er wie sie, unter den schweren Düften der Gartenpflanzen, genau diesen einen heraus riechen konnte. Den Duft ihrer Liebe. Was unmöglich schien,  hatte sich einen Sommer nach seinem letzten Brief offenbart. Der verbrannte Rosenstock, unter dem seine Worte ruhten, trieb aus. Es waren anfangs nur zarte Triebe gewesen, doch je mehr Sommer ins Land strichen, desto kräftiger wurde der Stock. Sie hatte ihn stützen müssen, damit die Zweige nicht unter der Last der Blüten brachen. Noch einmal richtete sie ihren Blick zum Himmel. Sie fühlte, dass nun die Zeit gekommen war, ihr Herz wieder zu öffnen. Und leise stieg ihr Lächeln zu den Sternen hinauf.

 

Text: Perdita Klimeck

Bildmaterial: oldskoolman

Kommentar schreiben

Kommentare: 0