Der Osterhase, den es nicht gab

Hier noch ein Pinselstrich und da noch einen Tupfer Gelb. So, fertig. Lennart legte Farbpalette und Pinsel zur Seite und eilte zum Becken, um sich seine Hasenpfoten zu waschen. Das war auch bitter nötig, denn sie waren über und über mit Farbe übersät . Von Handschuhen hielt Lennart nämlich nichts. Farbe an den Händen gehört zum Eieranmalen dazu. Lennart musste lächeln, denn genauso hatte es sein Großvater immer gesagt.  Ja, der Großvater. Lennart konnte sich noch genau an seinen Opa erinnern. Groß war er gewesen und schlank. Nicht so klein und moppelig wie der Opa von seinem Freund Peter. Das liegt an dem Futter der Menschen, hatte ihm sein Opa erklärt, als Lennart nachgefragt hatte. Halte dich davon fern, mein Junge. Das macht dich träge und faul. Löwenzahn ist eine viel bessere Futterwahl. Es wächst überall und ist gesund.

Trägheit und Faulheit waren Dinge, die Lennarts Opa überhaupt nicht mochte. Wir Hasen müssen flink sein. Sonst … Lennart schüttelte sich. "Sonst enden wir im Kochtopf!", beendete er laut den Satz seines Großvaters. Oder im Maul eines Fuchses. Ein schrecklicher Gedanke.

Lennarts Opa war schon lange nicht mehr da. Ebenso wie sein Vater. An den konnte sich Lennart allerdings nicht erinnern. Manchmal erzählte ihm seine Mutter etwas über ihn. Wie mutig und stark er gewesen ist. Und dass er sein Leben für sie und Lennart geopfert hat, als eines Tages ein Habicht vom Himmel herabstieß. "Du warst ja noch ein Baby, Lennart. Und ich noch schwach von der Geburt.  Ohne deinen Vater, hätten wir keine Chance gehabt, den Klauen des Habichts zu entrinnen. Er hat sich ihm todesmutig in den Weg gestellt. So konnte ich mit dir fliehen." Danach weinte sie immer.

Von da an war es sein Opa gewesen, der ihm beigebracht hatte, was ein Hase so alles wissen muss. Und nicht nur das. Er hatte ihn auch in diese Osterhasensache eingeweiht.

Lennart wischte sich mit der Pfote eine kleine Träne aus seinem rechten Auge. Er ging zurück zum Tisch und betrachtete sein Werk. Tagelang hatte er Eier gesammelt. Sogar in den Hühnerstall des naheliegenden Bauerhofes hatte er sich getraut. Nun lagen sie vor ihm und strahlten in allen Farben des Regenbogens. Kleine Eier, große Eier, ja, sogar ein riesiges Gänseei war dabei. Das zu besorgen war sogar richtig gefährlich gewesen. Die Gans hätte ihn beinahe mit ihrem Schnabel erwischt. Und so ein Gänseschnabel kann ganz schön weh tun. Die Erfahrung hatte er auch schon machen müssen.

Nun aber los, dachte Lennart. Draußen dämmerte es bereits und Lennart wollte die Eier im Garten der Menschenfamilie verstecken, bevor die Sonne den Morgennebel vertreibt.  Vorsichtig legte er die Eier in seinen Transportkorb. Er hatte gestern bereits Riemen daran befestigt, um ihn auf dem Rücken festzuschnallen. Kiepe hatte sein Opa das genannt. Dann hast du die Pfoten alle frei.

Die Kiepe war ganz schön schwer, aber das störte Lennart nicht. Zum Menschenhaus war es ja nicht weit. Nur einmal quer durch das Feld. Das würde er schon schaffen. Voller Vorfreude hoppelte Lennart los. Etwas langsamer als sonst, denn er wollte ja nicht, dass auch nur eines der Eier kaputt geht. Schließlich sollte sein Opa stolz auf ihn sein.  Eine kleine graue Feldmaus starrte ihm verwundert hinterher. So etwas hatte sie ja noch nie gesehen. Ein Hase mit einem Korb auf dem Rücken, der voller bunter Eier war. Das muss ein Traum sein, dachte sie und rieb sich die Augen.

Nach wenigen Minuten hatte Lennart die Hecke hinter dem Feld erreicht. Vorsichtig zwängte er sich hindurch. Die Sonne blinzelte bereits durch den Kirschbaum, der mitten im Garten stand, und auf dem Rasen glitzerte der Morgentau. Eine frühe Hummel labte sich an den gelben Osterglocken in einem der bunten Blumenbeete. Lennart sah sich um. Alles ruhig. Es konnte losgehen.

Er hoppelte zu einem der Blumenbeete, setzte die Kiepe ab und griff nach dem ersten Ei. Behutsam platzierte er es zwischen zwei rote Tulpen. Plötzlich klappte eine Tür und Menschenstimmen erklangen. Lennart duckte sich, so tief es eben ging, zwischen die Blumen.  Nur noch sein kleines Stummelschwänzchen war zu sehen. Aber das konnte durchaus mit einem Blumenköpfchen verwechselt werden, das wusste er.  Dennoch klopfte ihm sein kleines Herz bis zum Hals herauf. Die Stimmen kamen näher und irgendetwas wurde neben ihn gestellt. Dann entfernten sich die Stimmen wieder. Wurden leiser und leiser, bis alles im Garten wieder ruhig und friedlich war.

Lennart zitterte am ganzen Körper. Langsam hob er den Kopf und schob sein rechtes Schlappohr von seinen Augen. Neben ihm stand ein großer goldener Hase. Mit einem Glöckchen um den Hals, das an einem roten Band baumelte. Entsetzt wich er zurück. Dabei stolperte er über seine Kiepe. Die bunten Eier rollten hinaus und kugelten durch das Blumenbeet. Zwei zerbrachen sofort. Doch das interessierte Lennart momentan reichlich wenig. Stocksteif stand er da und beobachtete das goldene Tier. Das rührte sich nicht von der Stelle. Starrte aber Lennart aus schwarzen Knopfaugen unverwandt an. Lennart starrte zurück. Langsam wich die Angst. "Wer bist du?", traute sich Lennart nach einer Weile zu fragen. Keine Antwort. Nur das Starren. Lennart kroch näher an den goldenen Hasen heran. "Hast du einen Namen?" Wieder blieb es still. Mittlerweile war Lennart ganz nah herangekommen. Er richtete sich auf. Auge in Auge standen sie nun da. Lennart und das Goldding. "Hey du, kannst du nicht sprechen?" Dabei stupste er sein Gegenüber mit seiner Nase an. Das Glöckchen klingelte und Lennart wich erschrocken etwas zurück. Ein komischer und zugleich wunderbarer Duft kitzelte seine Nase. Wieder trat er näher. Lennarts Näschen zitterte. So etwas Schönes hatte er noch nie gerochen. Der Duft berauschte ihn und ohne nachzudenken, beschnupperte Lennart den goldenen Hasen nun von allen Seiten. Der rührte sich noch immer nicht. Nur das Glöckchen klingelte leise vor sich hin. Was für ein komischer Geselle, dachte Lennart. Aber, das muss man ihm lassen, er riecht gut.

Kinderstimmen rissen ihn aus seinen Gedanken. Lennart schreckte auf, ließ Goldhase, Goldhase sein, und flitzte durch das Blumenbeet, über den Rasen und ab durch die Hecke, hinter der er schweratmend stehen blieb. "Die Kiepe, ich habe die Kiepe vergessen. Und Eier habe ich auch nicht verteilt!" Völlig geknickt und traurig stand Lennart vor der Hecke. So hatte er sich das nicht vorgestellt. Alles hatte er richtig machen wollen. So wie es ihm sein Großvater immer erzählt hatte. Weinend hoppelte Lennart durch das Feld zurück zu seiner Werkstatt. Der Ostereierwerkstatt, die er voller Stolz eingerichtet hatte. Nicht mal seinem Freund Peter hatte er davon erzählt. Und dem erzählte er sonst wirklich alles.

Wieder in der Werkstatt, verkroch sich Lennart im hintersten Winkel. Er wollte niemanden sehen, so enttäuscht war er. Seine Ohren hingen schlapp herunter und seine Augen waren rot vom Weinen. Er konnte gar nicht damit aufhören. Immer lauter schluchzte er. So laut, dass seine Mutter aufmerksam wurde. "Lennart, Lennart, was ist denn mit dir los? Warum weinst du denn?"  Dabei klopfte sie mit einer Pfote laut gegen die Werkstatttür. "Lennart, mach doch die Tür auf!"

Als Lennart die Stimme seiner Mutter hörte, gab es kein Halten mehr für ihn. Denn wenn einer Trost spenden konnte, dann nur seine Mutter. So wie alle Mütter die einzigen sind, die ihre Kinder trösten können. Er stürmte zur Tür, öffnete sie und warf sich in die ausgebreiten Mutterarme. Unter vielen Schluchzern erzählte Lennart ihr die ganze Geschichte. Beruhigend strich seine Mutter ihm dabei immer wieder über die hängenden Ohren. "Ach Lennart", sagte sie schließlich, "du dummer Hase! Das ist doch nur eine Geschichte, die Opa immer erzählt hat. Es gibt keine Osterhasen. Das haben die Menschen erfunden. Sie malen die Eier selber an, und in großen Fabriken machen sie diese Goldhasen, um sie an Ostern in ihren Gärten zu verstecken. Damit die Kinder daran ihre Freude haben."

Lennart, der sich mittlerweile vor seine Mutter gehockt hatte, schaute zu ihr hoch. "Wirklich? Das war gar kein echter Hase? Aber der roch doch so gut. Irgendwie Himmlisch. Unechte Dinge riechen doch nicht." Das wusste er ganz genau. Löwenzahn riecht und das Gras, die Erde, sogar die Blätter im Herbst riechen. Plastiktüten und Menschendinge, die man ab und an mal im Feld findet, riechen dagegen nach nichts. Naja, vielleicht ein wenig. So nach unecht eben. Skeptisch sah Lennart seine Mutter an. Die lächelte nur. "Das was du gerochen hast, ist Schokolade. Das essen die Menschenkinder besonders gern."

"Essen? Die essen meinen goldenen Freund auf?" Sofort füllten sich Lennarts Augen wieder mit Tränen. Die Menschen waren ihm schon immer komisch vorgekommen, jetzt konnte er sie aber überhaupt nicht mehr leiden.  Wieder schmiegte er sich in die Arme seiner Mutter.

"Der Hase ist nicht echt, Lennart. Er ist aus Schokolade. Und die kann man essen. Weißt du was, warte einfach mal hier." Und noch ehe Lennart weitere Fragen stellen konnte, war seine Mutter schon davongehoppelt. Lennart schaute ihr verdutzt nach. Was sie jetzt wohl vorhat?

Lange musste sich Lennart nicht gedulden. Denn schon wenige Minuten später war sie wieder zurück. Mit seiner verlorenen Kiepe auf dem Rücken. Sie setzte die Kiepe ab, griff hinein und hielt Lennart ein kleines goldenes Ei unter die Nase. Lennart schnupperte. "Oh, das riecht so wundervoll wie der goldene Hase im Blumenbeet. Nur ohne Glöckchen." Ehrfürchtig löste er das goldene Papier ab. Es knisterte leise. "Und nun, Lennart, beiß hinein!", forderte ihn seine Mutter auf, die schmunzelnd auf ihren Sohn schaute. Das traute sich Lennart dann aber doch nicht. Vorsichtig streckte er seine Zunge heraus und leckte daran. "Ahh, das schmeckt aber gut." Jetzt konnte ihn nichts mehr halten. Der Geschmack auf seiner Zunge war so köstlich, dass er das ganze Ei in den Mund steckte. "Hmpf, lecker!"

Lennarts Mutter lachte. "Das ist Schokolade! Genieße es, mein Sohn. Aber denk immer daran, was dein Großvater gesagt hat. Oder willst du später so aussehen wie der Opa von Peter? Alles immer in Maßen!"

Der Großvater. Ja, auch wenn die Osterhasensache nur eine Geschichte gewesen war. Recht hatte der Opa immer gehabt. Löwenzahn ist sicher gesünder. Auch wenn es nicht so himmlisch gut schmeckt wie Schokolade. Aber Ostern ist schließlich ja nur einmal im Jahr. Da kann man dann auch mal etwas ganz Besonderes essen. So was wie Schokolade.


Text: Perdita Klimeck

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Kommentare: 2
  • #1

    angelface (Montag, 06 April 2015 08:47)

    Liebe GRETE....
    dir ein fröhliches Ostereiersuchen und ein frohes fest mit vielen vielen goldenen Eiern die möglichst aus zarter Bitterschokolade sind, weil, die sind wenn schon denn schon:gesünder!!!:))
    Welch eine etzückende Ostergeschichte hast du uns und den Kindern mitgebracht, so richtg was zum vorlesen.....
    fast schon zum Einschulungszwang, möcht man sagen...
    ganz lebendig und frisch erzählst du die geschichte von einem Osterhasen so, dass man sich wünscht, es gäb deren viele ....geschichten und Hasen, Osterhäschen ohne Glöckchen die man nicht essen kann weil man sie mag und ehrt,,,,,
    liebe Grüße zum Ostermontag und zum Fest....ich schmunzle immer noch darüber...
    herzlichst Angelface....

  • #2

    Enya Kummer (Montag, 06 April 2015 11:38)

    Oh Perdita, das ist wieder so eine wunderbare Geschichte. Du hast sie so lebendig erzählt, dass man sich alles gut vorstellen kann. Ich werde sie meinen Enkeln vorlesen.
    Ja, warum soll nicht auch einmal ein Häschen in den Genuss von Schokolade kommen. Zu solch besonderen Gelegenheiten ist es doch ein Genuss.
    Ich wünsche dir noch einen schönen Ostermontag und sage "danke" für Lennart.
    Lieben Gruß
    Enya