Der kleine rosa Luftballon

Fröhliche Stimmen tanzten um ihn herum, eine kleine Hand auf seiner Hülle verbreitete wohlige Wärme. Das Jauchzen und Lachen vieler Kinder drang tief in sein Innerstes. Der kleine rosa Luftballon war völlig aus dem Häuschen. "Das ist total verrückt", dachte er. "Vor ein paar Stunden habe ich noch friedlich in einem Karton geschlummert. Ein kleines Stück mattes, rosafarbenes Gummi. Plattgedrückt zwischen vielen anderen Brüdern und Schwestern."

Wie er da hinein gekommen war und wann, daran konnte er sich allerdings nicht mehr erinnern.

Dunkel und still war es in dem Karton gewesen. Und eng, man hatte sich kaum bewegen können. Und nun das hier.

 

Alles war so schnell gegangen. Erst hatte er nur Stimmen gehört, dann war es plötzlich hell geworden. Jemand hatte wohl den Deckel vom Karton entfernt. Hände hatten ihn ergriffen und seinen Hals auf eine kleine Maschine gesteckt. Angst und Bange war es ihm da geworden. Dann hatte es gezischt und sein Bauch hatte sich plötzlich so anders angefühlt. Viel dicker und runder. Größer und immer größer war er dann geworden. Das Zischen hatte angedauert, bis seine Haut völlig gespannt gewesen war und in einem wundervollen rosa glänzte. Urplötzlich hatte es aufgehört. Sein Hals war von der Maschine befreit worden und dann … der kleine Luftballon erinnerte sich daran nur mit Schaudern … hatte irgendjemand ihn umgedreht, einen Knoten hinein gemacht und ein Stück Schnur daran befestigt.

Der kleine rosa Luftballon sah sich um. Seinen Brüdern und Schwestern war es wohl ebenso ergangen. Denn um ihn herum wiegten sich hunderte von glänzenden Ballons im Wind. Sie leuchteten in allen Farben des Regenbogens. Und alle hatten, wie er schnell feststellte, eine Schnur um den Hals, deren Ende fest in Kinderhänden steckte.

"Ob ich wohl auch …?" Er sah hinunter und tatsächlich, sein Schnurende steckte in der Hand eines kleinen Mädchens, welches gerade dabei war ein Kärtchen daran zu befestigen.

Eine kräftige Stimme bat plötzlich um Ruhe. Aufgeregt blickte der kleine rosa Luftballon in die Richtung aus der die Stimme kam. "Seid ihr alle fertig?"

Fertig womit? Was passiert hier? Immerhin, die Kinder schienen es zu wissen, denn sie antworten alle im Chor mit einem lauten "Ja!"

Ein schriller Pfiff erfüllte die Luft und der kleine rosa Luftballon fühlte plötzlich eine ganz besondere Leichtigkeit. "Ich schwebe", jubelte er. Der Wind strich sanft über seine glänzende Haut und trug ihn höher und höher in den blauen Himmel hinein. Um ihn herum schwebten seine Brüder und Schwestern. Kurz stieß er mit einem dicken blauen Ballon zusammen.  Er drehte Kapriolen und tanzte zwischen den Sonnenstrahlen mit dem Wind. Glücksgefühle übermannten den kleinen rosa Luftballon.

Nach ein paar Minuten sah er nach unten. Die grüne Wiese, auf der viele Kinderhände ihm und seinen Brüdern und Schwestern nachwinkten, wurde immer kleiner. Er neigte sich ein wenig zur Seite und ließ sich vom Wind treiben. Sein Weg führte ihn über Felder und Dörfer, ja, sogar über eine große Stadt. Von so weit oben sah alles aus wie ein Spielzeugland.  Einfach herrlich.

Träumend flog der kleine rosa Luftballon weiter und weiter in die Welt hinaus. Selbst als er merkte, dass keiner seiner Brüder und Schwestern mehr zu sehen war, konnte er nicht aufhören glücklich zu sein. "Was macht es schon", dachte er. "Lieber glücklich allein, als weiter in der Kiste auszuharren."

Doch nach ein paar Stunden verdunkelte sich der Himmel. Der Wind wurde stürmischer und der kleine rosa Luftballon wurde hin und her geschleudert. Ihm wurde kalt, besonders als die ersten Regentropfen auf seine glänzende Haut fielen. Er begann sich einsam zu fühlen und sehnte sich nach seinen Brüdern und Schwestern. Je nasser er wurde und je mehr der Wind an ihm zerrte, desto trauriger wurde der kleine rosa Luftballon. Ihm wurde bange, als er merkte, dass seine Haut immer schlaffer wurde. Langsam, aber sicher, näherte er sich wieder der Erde. Unter ihm lag ein graues dunkles Band, das sich wie ein Lindwurm durch das Land schlängelte.  Das musste der Rhein sein, ein großer Fluss. Davon hatte er die Menschen erzählen hören, als er in der Kiste gelegen hatte. Immer tiefer sank der kleine rosa Luftballon. Die Karte an der Schnur flatterte im Wind, wurde hochgewirbelt und klatschte auf seine durchnässte Haut. Dort blieb sie kleben.

Bedrohlich kam der Fluss näher. Der kleine rosa Luftballon konnte bereits das Tosen der Wellen hören. Und ehe er sich versah, setzte er auch schon auf dem Wasser auf. Nun tanzte er nicht mehr mit dem Wind sondern auf dem Fluss. Hoch und runter ging es mit den Wellen und dem kleinen rosa Luftballon wurde es ganz schlecht. So ging es Kilometer für Kilometer. Immer weiter wurde er mit dem Wasser getrieben. Vorbei an Schiffen ging seine Reise und unter vielen großen Brücken hindurch. So schnell, dass er kaum einen Blick nach links und rechts werfen konnte.

Nach einiger Zeit wurde der Himmel wieder freundlicher und das Wasser unter ihm ruhiger. Auch der Regen hörte auf.  Der kleine rosa Luftballon beruhigte sich und begann die Reise auf dem Fluss zu genießen. Wenn, ja wenn da nicht dieses Gefühl grenzenloser Einsamkeit gewesen wäre, dass ihm ab und an dann doch zu schaffen machte. So trieb er gemächlich auf dem Fluss, hin und her gerissen von all den schönen Dingen, die er an den Ufern entdeckte, und diesem Gefühl. Irgendwann schlief er ein.

Der kleine rosa Luftballon erwachte, als ihn etwas zwickte. Eine Möwe pickte mit ihrem Schnabel in seine Haut. Er plusterte sich auf, so gut es eben ging, und die Möwe ließ erschrocken von ihm ab. "Gerade noch mal gutgegangen", dachte er und blickte sich um. Erst jetzt bemerkte er, dass er sich nicht mehr auf der Mitte des Flusses befand, sondern bereits in Ufernähe. Er konnte Häuser erkennen und in weiter Ferne einen großen Turm, dessen Spitze weit in den Himmel ragte.

Gespannt, was noch alles auf ihn warten würde, ließ sich der kleine rosa Luftballon von sanften Wellen ans Ufer tragen. "Vielleicht habe ich ja Glück und der Wind nimmt mich wieder auf!"

Dass dem nicht so war, fand er schnell heraus. Am Ufer lagen viele Äste und Gestrüpp, die seinen Weg erschwerten und ihn schließlich ganz stoppten, da sich die Schnur in einem Ast verfing. Da lag er nun auf dem Gestrüpp, der kleine rosa Luftballon.  Wie auf einer Insel, halb im Wasser, das rettende feste Ufer unerreichbar für ihn, allein, und weinte bittere Tränen, die ihm aus den geschlossenen Augen über seine rosa Haut liefen und dunkle Spuren darauf hinterließen.

Plötzlich stupste ihn etwas an. Der kleine rosa Luftballon traute sich kaum zu atmen. "Nicht schon wieder eine Möwe!" Doch irgendwie fühlte sich das nicht danach an. Das Stupsen wiederholte sich, warm und weich. Und, der kleine rosa Luftballon schnupperte, es roch nach Gummi. Ein Duft, der ihm wohlvertraut war. Flugs öffnete er die Augen. Neben ihm lag ein großer roter Ballon. Was für eine Freude. Gegenseitig erzählten sich die Ballons nun von ihren Abenteuern. Und als es dämmerte, schmiegte sich der kleine rosa Luftballon fest an seinen neuen Freund. "Wie schön es doch ist, nicht alleine zu sein", flüsterte er noch, bevor er einschlief.

 

Und wenn sie niemand gefunden hat, dann liegen die zwei Ballons noch heute Arm in Arm nebeneinander. Irgendwo am Ufer des Rheines, in der Nähe von Köln.

 

Text: Perdita Klimeck

Bild: Uschi Breithaupt - mit freundlicher Genehmigung

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Enya Kummer (Dienstag, 20 Januar 2015 22:00)

    Welch ein schönes Märchen! Einfühlsam erzählt aus Sicht des kleinen rosa Luftballons.
    Man freut sich mit ihm, träumt, leidet.
    Der Wunsch nach Freiheit und Abenteuer erfasst den Leser genauso wie das Gefühl der Einsamkeit.
    Am Ende das Vertraute, ein bisschen wie "nach Hause kommen".
    Ein Märchen, das sicher nicht nur die kleinen Leser erfreut.

    Enya Kummer